15.08.2015

Bindegewebsschwächen - Krampfadern - Thrombosen

Herz(ens)probleme: Be-Deutung und Chance von Herz- und Kreislaufproblemen

von Ruediger Dahlke

Aus dem Buch  =>»Herz(ens)probleme«

Zur typischen Konstitution des Hypotonikers gehört häufig Bindegewebsschwäche mit der Neigung zu Krampfadern, Gefäßbrüchen und als deren Folgen Thrombosen und offene Beine. Bindegewebe ist jenes im Körper am meisten verbreitete Material, das die spezifischen Organzellen verbindet und den Organen und Körperteilen ihre äußere Form gibt. Neben der Verbindungs- und Gestaltgebungsfunktion erfüllt es die Aufgabe des Haltgebens. Ohne Bindegewebszellen wären z. B. die Leberzellen, die die speziellen Aufgaben wie Eiweißsynthese und Entgiftung verrichten, noch längst keine Leber. Auch unserem Gesicht gibt erst das Fettgewebe, eine Unterart des Bindegewebes, seine individuelle Ausprägung. 

Mangelnde Festigkeit dieses zentralen Gewebes spiegelt einen seelisch nicht eingestandenen Mangel an Bindungs- und Verbindungsfähigkeit. Unverbindlichkeit und geringe Verläßlichkeit liegen nahe. Meist handelt es sich um Menschen, die über wenig eigene Verbindungen verfügen und von sich aus auch kaum Verbindung zu anderen aufnehmen. Gerade deshalb klammern sie sich häufig an die eine Beziehung, die sie haben. Dort suchen Sie den Halt, den Sie in sich selbst nicht finden können. 

Der mangelnde Halt wird im Mangel an Festigkeit des Körpers spürbar. An ihnen hängen die Gewebe wie Kleider an einer Garderobe herunter. Besonders deutlich wird es an den weiblichen Brüsten, den Pobacken und manchmal auch im Gesicht. Wer sich hängenläßt, ohne es sich einzugestehen, kann es dann im Spiegel kaum noch übersehen. Das mag wiederum hart klingen, und doch liegt hier die einzige Chance zur Ehrlichkeit. Einzelne Körperregionen betonen noch jeweils ein spezielles Problem, das aus der Gesamtsituation herausragt. Wenn jemand sein Sitzfleisch hängen läßt, weist das auf Probleme mit seiner Durchsetzungsfähigkeit hin, während hängende Brüste ab einer bestimmten Größe etwas Natürliches sind und keiner Deutung bedürfen. Etwas Schweres, frei in den Raum Hinausgebautes muß nun einmal hängen. Wenn allerdings nicht das Gewicht, sondern die Schlaffheit im Vordergrund steht, wäre auch hier an ein Sichhängenlassen im Bereich des Weiblichen und Nährenden zu denken. 

Im Gesicht spricht das hängende Gewebe deutlicher als der Mund aus, daß hier jemand resigniert hat, sich im Angesicht des Lebens hängenläßt. Hängende Mundwinkel haben zusätzlich die besondere Bedeutung tief eingegrabener Griesgrämigkeit. Aber auch hängende Backen geben ein deutliches Bild eines abgeschlafften, etwas hündisch dreinblickenden Menschen. Tränensäcke zeigen die resignierte Trauer und zugleich das Ausmaß der angestauten und nichtgeweinten Tränen, die solch ein Mensch mit sich herumschleppt. Die innere Haltlosigkeit wird in den Gesichtszügen häufig so offensichtlich, daß die Bloßgestellten soviel Ehrlichkeit nicht ertragen mögen. In aller Heimlichkeit und Peinlichkeit werden dann Chirurgen beauftragt, anzuheben bzw. zu liften, was man selbst nicht mehr hochkriegt. 

Da also auch der formgebende Aspekt des Bindegewebes in Mitleidenschaft gezogen ist, die Betroffenen deutlich sichtbar nicht in Form sind, muß im Seelischen ein entsprechendes Problem liegen. Tatsächlich können sie ihren geistig-seelischen Aufgaben keine Gestalt geben. Sie formen ihre Umgebung kaum, neigen eher dazu, nachzugeben und sich selbst formen zu lassen. Meist treten Mangel an Druck und Handlungsfähigkeit erschwerend hinzu. So werden die Bindegewebsschwächlinge zu typischen Opfern und zu Wachs in den Händen jener durchsetzungsfähigeren Zeitgenossen, an die sie sich schutzsuchend halten, lehnen oder klammern. 

Daß ihnen die Opferrolle andererseits nicht gerade leichtfällt, offenbart wiederum das Gewebe der Betroffenen. Es enthüllt eine ausgeprägte Empfindlichkeit und Verletzlichkeit, die bewußt gerne verleugnet wird. Tatsächlich achten Bindegewebsschwächlinge sorgfältig darauf, nirgends Anstoß zu erregen und am besten gar nicht aufzufallen. Jeder kleine Anstoß wird nämlich im ehrlichen Körper sogleich durch einen blauen Fleck dokumentiert. Daß auch im übertragenen Sinne bereits leicht Anstößiges tief verletzen kann, liegt auf der Hand. Zur hohen Beeindruckbarkeit kommt eine gewisse Neigung, nachtragend und sogar beleidigt zu reagieren. Es dauert eben seine Zeit, bis so ein blauer Fleck in Körper und Seele abheilt. Manchmal bedarf es noch nicht einmal äußerer Einwirkung, und kleinste Gefäße platzen wie von selbst. Mit ihren Mustern, auch Besenreiser genannt, zeichnen sie mit Vorliebe die Beine jener, die sich darüber ganz besonders ärgern. Mit makellosen Beinen würden die Betreffenden lieber elegante Beweglichkeit, ästhetisch schöne Standhaftigkeit und charakterliche Festigkeit vortäuschen, von eigenem Standpunkt und Fortschrittsbereitschaft ganz zu schweigen. Verständlich, daß der ehrliche Malstift des eigenen Schattens hier gänzlich ungelegen kommt. Besonders ärgerlich, daß selbst die Schönheitschirurgen diese Botschaften aus dem Inneren nicht wegradieren können. 

Noch schlimmer kann es kommen, wenn die größeren Gefäße das Thema auf die eigenen Beine zeichnen. Entzündungen der tiefen Beinvenen, allgemeine Wandschwäche der Venen und geringe Festigkeit des einbettenden Bindegewebes verleiten das Blut, anstatt zielstrebig zum Herzen zurückzukehren, in gemächlichen Schleifen träge vor sich hin zu mäandern. Es kommt zur Überlastung der Venenklappen, Ventile, die in ihrer Funktion denen am Herzen entsprechen. Im Normalfall sorgen sie dafür, daß das Blut zwar vorwärts Richtung Herz, aber nie zurückfließen kann. Sind die Venen jedoch überdehnt, wendet sich der Lebensstrom phasenweise wieder vom Herzen ab. Es entsteht eine ähnliche Sisyphussituation wie bei Herzklappeninsuffizienzen, allerdings jetzt in einer ausgesprochen drucklosen Situation. Ärzte sprechen von Varizen oder Krampfadern, Patienten klagen über schwere Beine und nächtliche Krämpfe. 

Normalerweise wird das Blut durch die Bewegung der Beinmuskeln und das Pulsieren der benachbarten Arterien in den Venen langsam, aber sicher Richtung Herz befördert. Beim meistens auch mit Hypotonie geschlagenen »Bindegewebsschwächling« findet in den Arterien wie in den Muskeln der Beine offenbar zuwenig Bewegung statt. Konkret und im Übertragenen gibt es zuviel Stillstand und zu wenig Bewegung. Die nur träge ausgesandte Lebensenergie kommt noch träger bzw. nicht mehr ausreichend zu einem zurück. Die Orte des Blutstaus, hauptsächlich Unterschenkel, in geringerem Maße auch Füße und Oberschenkel, zeigen, wo das Problem sitzt. Besonders betont ist mit den Unterschenkeln der Sprung- und Fortbewegungsbereich und damit die entsprechenden Themen: Einmal mehr geht es um Bewegung und letztlich um innere, was sich an den symbolischen äußeren Orten abzeichnet. Träge und sich fast im Kreise drehend - statt zielstrebig nach vorne -, entwickelt sich der Lebensstrom dieser Menschen und damit ihr ganzes Leben. Zeitweilig geht es sogar rückwärts. 

Die körperlichen Folgen reichen von Ödemen über Krämpfe bis zu Venenentzündungen und offenen Beinen. Aufgrund des Staus in den Venen und der Umkehr der Strömungsrichtung kommt es zu Flüssigkeitsaustritten im Bereich der Unterschenkel und Füße, das Blut versumpft im wahrsten Sinne des Wortes im Gewebe. Das seelische Element, symbolisiert im Wasser, ist nicht mehr in Bewegung, sondern im Stau. So bildet sich ein starkes Kreislaufübergewicht in der unteren Körperhälfte und damit eine Betonung dieses Poles. Das Gefühl der schweren Beine, die einen kaum noch tragen, hat hier sein physisches Pendant. Schwerfälligkeit und Erdgebundenheit spiegeln die seelische Situation in den Körper. Statt Elastizität und Flexibilität haben sich Trägheit und Brüchigkeit breitgemacht. Daß es sich nicht um eine Entspannung im besten Sinne handelt, sondern um einen ziemlichen Krampf, verdeutlichen die zum Namenspatron gewordenen Krämpfe. Besonders nachts versuchen sie, den Betroffenen auf die Sprünge zu helfen. Schon die Tageszeit verrät, daß es wohl weniger um physische als um seelische Sprünge geht. Auch in den Träumen äußert sich ja wie in den Symptomen des Körpers der tagsüber im Bewußtsein nicht geduldete Schatten. 

Das Ödem macht die sowieso schlecht durchbluteten Grenzen allmählich atrophisch, d.h., die Haut verliert ihrerseits an Elastizität und Anpassungsfähigkeit und wird buchstäblich dünner. Eine geringe Verletzung oder Entzündung reicht nun schon, um ein Unterschenkelgeschwür entstehen zu lassen. Die sogenannten offenen Beine sind zwar nicht direkt gefährlich, jedoch äußerst lästig und heute schon ein weitverbreitetes chronisches Alterssymptom. Die über lange Zeiten vernachlässigte und minderdurchblutete Haut ist zusammengebrochen. 

Im Beispiel von der Nation, die ihre Grenzländer aus Angst nicht besiedelte, ist jetzt der Punkt erreicht, wo sich die Grenzen doch, und zwar mit Gewalt, geöffnet haben. Das Lebenswasser tritt sogar über die Grenzen, und alle Erreger können munter hereinspazieren. Tatsächlich ist das für den Organismus eine Art Therapie, denn alles, was bisher ängstlich innen verschlossen wurde, kann jetzt, wenn auch nur körperlich, austreten. Therapeutisch müssen sich die Betroffenen nun sehr um ihre Hautgrenze kümmern. Es wird ihnen zumindest physisch klar, was für eine dünne und empfindliche Grenzschicht sie nur haben. Die oft über Monate offenen Stellen und die Empfindlichkeit der Beine gehen vielfach so auf die Nerven, daß nicht wenige Patienten sich eingestehen können, daß sie generell eine recht dünne Haut haben. Täglich müssen sie ihre offenen Wunden pflegen und die zusammengebrochene Haut durch geduldig gewickelte Binden ersetzen. Das ist eine zwar späte, aber doch sehr intensive Grenzpflege. Und täglich kommt es während der Verbandswechsel auch zu kurzen Momenten der Offenheit. 

Insofern verwundert es nicht, daß viele Patienten auf das Zupflegen ihrer offenen Beine gesundheitlich sehr schlecht reagieren. Man bekommt geradezu den Eindruck, sie bräuchten diese Ventile zur Entgiftung, wie ja auch viele Naturheilkundige behaupten. Tatsächlich ist es sicherlich ein Fortschritt, all das Gift, das sich in den Zeiten des Nachgebens und Zurückweichens in der Seele gestaut hat, nun wenigstens symbolisch über die Beine auszuscheiden. Insofern haben die Naturheilkundler durchaus recht. Die Schulmediziner, die in den Ausscheidungen kein Gift finden können, haben aber ebenfalls recht, geht es doch um eine eher symbolische Entgiftung. Die Patienten brauchen die offenen Beine, weil es ihre einzigen offenen Stellen sind. Das ist natürlich nur eine Notlösung, aber immer noch besser als überhaupt keine Offenheit. 

Mit Unterschenkelgeschwüren häufig vergesellschaftet ist die Venenentzündung (Thrombophlebitis). Deren schlimmere Form stellt die entzündliche Thrombose der tiefen Beinvenen dar, die das Blut vermehrt in die oberflächlichen Venen treibt. Hier kommt es regelmäßig zu Stau und Überlastung. In der Tiefe aber können sich die gefürchtete Embolien bilden. Die oberflächlichen Entzündungen von Venenthrombosen fördern die Entstehung von Unterschenkelgeschwüren. Die Betroffenen befinden sich in einem verwickelten Teufelskreis. Auf der körperlichen Ebene ist die Verlangsamung der Blutströmung die wesentlichste Entstehungsvoraussetzung. Thrombosen bilden sich besonders nach erzwungener körperlicher Ruhe wie z. B. nach Operationen oder jeder anderen ausgedehnten Bettruhe. Das ist aber gerade der hauptsächliche Fluchtweg der Betroffenen. So treibt sie ihre Reaktion auf ihr Symptom immer tiefer in die Symptomatik. Krampfadern sind ein weiterer wichtiger Faktor, der die Venenentzündung begünstigt und der durch sie gleichzeitig gefördert wird. 

Während die Situation aber immer aussichtsloser wird, gewinnt sie gleichzeitig an Deutlichkeit. Der Konflikt um das Thema Beweglichkeit, der so lange schon unbewußt besteht, wird jetzt oberflächlich sichtbar. In den Beinen tobt er gerade am symbolischen Ort der Bewegung. Die Lebensenergie, deren Bestimmung der freie Fluß ist, stoppt, gerinnt und zeigt, daß auf der übertragenen Ebene vieles steckengeblieben, festgefahren und verklemmt ist. Die Fähigkeit, Standpunkte zu wechseln und neue Gesichtspunkte ins Leben einzubeziehen, mag verlorengegangen, die eigene Meinung über das Leben zu einem Urteil oder Vorurteil geronnen sein. Das Stocken des Blutes zeigt nun sehr einsichtig, wie verstockt der Patient in bezug auf seine Lebensenergie ist. Dem Ausspruch Heraklits, »Alles fließt», setzt er sein »Alles stockt« entgegen. Heraklit beschreibt das Phänomen des Lebens, der Patient lebt den Zustand des Nichtlebens bei lebendigem Leibe. Fließen bedarf des beständigen Wandels und der Anpassung an veränderte Gegebenheiten. Hört der Mensch auf, zu fließen und sich zu wandeln, muß sich das im Körper entsprechend in der Behinderung des Fließenden zeigen. 

Die anatomische Situation im Anschluß an eine Thrombose kann zusätzlich einiges verdeutlichen. Mit dem Gefäßverschluß entsteht eine Sackgasse für die Lebensenergie. In dieser ausweglosen Situation und unter Druck des Staus versucht sich der Organismus mit einer Politik der kleinen Schritte zu helfen. Neue Gefäßverbindungen, sogenannte Anastomosen, werden geknüpft, Brücken zu noch intakten Gefäßen geschlagen, um so die Lebensenergie auf Um- und Schleichwegen doch noch an ihr Ziel zu bringen. Hieraus ließe sich der therapeutische Hinweis lesen, auch mit der Lebensenergie im Übertragenen neue Wege zu gehen, bisher ungewohnte Verbindungen zu knüpfen und im Bewußtsein Brücken zu schlagen. Eine weitere Art, Auswege aus der Sackgasse zu finden, ist die sogenannte Organisation der Thrombose. Kleine Gefäße fangen an, die Staumauer des Blutgerinnsels zu durchwachsen, bis ein Gefäßnetz entstanden und eine bescheidene Verbindung wiederhergestellt ist. Die Notwendigkeit kleiner Schritte und bescheidener Lösungen, zu denen der bindegewebsschwache Hypotoniker ja in vieler Hinsicht gezwungen ist, wird auch hierin angedeutet. 

Die gefährlichste Komplikation der tiefen Beinvenenthrombose, die Lungenembolie, bringt schließlich noch das Kommunikationsproblem auf seinen brisantesten Nenner, indem sie die Lunge, das Organ des Austauschs, dichtmacht. Findet seelisch kein Austausch mehr statt, muß der Körper bis zum Äußersten gehen und in einem verzweifelten Versuch, doch noch Beachtung für die eigentliche Tragödie zu erlangen, seinen Austausch opfern.

Therapieansätze bei schwachem Druck und BindegewebeHämorrhoiden 
Verstopfung:
Zusätzliches Licht auf den ganzen Bereich des schwachen Kreislaufs wirft die schulmedizinische Haltung, die in diesem Fall über weite Strecken mit der der Naturmedizin übereinstimmt. In der Diagnostik steht natürlich die Blutdruckmessung an erster Stelle. Weist der Patient trotz typischer Beschwerden normalen Druck auf, liegt der Verdacht nahe, daß die Untersuchungssituation, die ja immerhin sein eigentliches Problem zutage fördern könnte, ihn aufregt. Dann hat er normalen Druck, weil er sich gerade ausnahmsweise seinem Problem stellt und vor dem Arzt (dazu) steht. In diesem Fall kann der sogenannte Stehtest weiterhelfen. Der Patient muß zehn Minuten stehend beweisen, daß er in der Lage ist, sich zu stellen. Der typische Hypotoniker wird das nicht ohne Blutdruckabfall durchstehen und damit sich und seine Lebenshaltung entlarven. 

In der Therapie heißt das eine große Wundermittel - wie nicht anders zu erwarten - Bewegung. Nach dem heutigen Verständnis von Schulmedizin und Naturheilkunde gleichermaßen: körperliche Bewegung. Es handelt sich dabei wieder um den so naheliegenden Schritt in den Gegenpol, und auch das nur auf der körperlichen Ebene. Die Erfahrung stützt diese Therapie. Solange sich der Patient körperliche Bewegung verschafft, hat er keine Symptome. Beendet er aber seine Bewegungstherapie, kommen die Symptome zurück. Folglich wird ein langsam aufbauendes Training empfohlen, das auf ausreichendem Niveau lebenslang durchzuhalten ist. Über Spaziergänge geht es zu Dauerläufen, Schwimmen und Bergsteigen. Wichtig ist, daß der Patient lange in Bewegung bleibt, weshalb Intervall- oder Krafttraining weniger geeignet sind. Geringste Unterbrechungen des Trainingsprogramms, etwa durch eine Grippe, ruinieren den Effekt sogleich wieder, und alles muß von vorne beginnen. 

Dem Patienten fehlen letztlich vielmehr innere seelische Bewegung und geistige Spaziergänge, wobei die Voraussetzungen dafür erst zu schaffen sind. Solange er aber in diesen Bereichen zu keinen Trainingsanstrengungen bereit ist, wird durch die körperlichen Übungen wenigstens die symbolische Ebene bearbeitet. Deren Effekt reicht jedoch kaum über sich selbst hinaus. Bearbeitung ist so möglich und besser als nichts, Erlösung des Themas aber nicht. Das kann wieder nur innerlich geschehen. 

Vom noch bequemeren Weg über Medikamente sind sogar Schulmediziner enttäuscht. Klepzig äußert sich entsprechend und bekennt, daß die Mittel nur etwa eine Stunde wirken. Außerdem gewöhnt sich der Körper an diese Chemikalien und macht so den Effekt immer schneller zunichte, fast als wollte er sich auf diese banale Art nicht unterstützen lassen. Das in dieser mißlichen pharmakologischen Lage noch erfolgreichste Mittel heißt bezeichnenderweise Effortil. Unschwer erkennt man in diesem Namen das englische »effort« = »Anstrengung, Bemühung«. Nomen est omen, hier unternimmt das Medikament die fällige Anstrengung stellvertretend für einen selbst. Das aber funktioniert leider oder Gott sei Dank auf die Dauer nicht. 

Neben ihrer schnell nachlassenden Wirkung haben Medikamente den Nachteil, nebenbei abhängig zu machen. Die Patienten, mangels eigenen Halts ständig auf der Suche nach verläßlichen Unterstützern, greifen nur zu gerne zu solchen Strohhalmen. Auch wenn die Pillen medizinisch längst nicht mehr wirksam und im wahrsten Sinne des Wortes zum Strohhalm geworden sind, können die Patienten von ihnen nicht mehr lassen. In diese unerfreuliche Situation rutschen auch die anderen Fitmacher nur zu leicht. Kaffee, Tee und Sekt werden so zu Krücken, die scheinbar erst das Stehen und Gehen ermöglichen, in Wirklichkeit aber Eigenständigkeit und echten Fortschritt langfristig verhindern. Nikotin ist in dieser Situation eine besonders unsinnige Droge. Sein Fitmacheffekt beruht von Anfang an weitestgehend auf Einbildung, dafür verschlechtert es aber die sowieso schon schwierige Durchblutungssituation wie keine andere Droge. Die Hände und Füße werden noch kälter, die Kommunikationsprobleme noch offenkundiger. 

Im Bereich der Bindegewebsschwäche sind die Therapievorschläge der Medizin genauso leicht deutbar. Kann das Gewebe den geweiteten, sich träge schlängelnden Venen keinen Halt und keine Unterstützung mehr geben, müssen Stützstrümpfe oder festgewickelte Binden einspringen. Innerer Halt wird durch äußeren ersetzt. Auch hier bekennt die Schulmedizin freimütig, daß mit ihren chemischen Medikamenten gar nichts auszurichten ist. Die Naturheilkunde weiß seit langem um die Wirkung der Roßkastanienextrakte. Die Kraft und Vitalität dieses vollblütigen Baumes wäre schon das richtige, nur reicht es nicht, sie als Salbe äußerlich aufzutragen oder eingekapselt zu schlucken. 

Beide Richtungen geben sich mit diesen unbefriedigenden Ergebnissen um so leichter zufrieden, als der ganze Symptomenkomplex in keiner Weise lebensbedrohlich ist. Im Gegenteil, die Hypotonie erhöht sogar die Lebenserwartung in quantitativer Hinsicht. In qualitativer haben die Patienten von ihrem verschlafenen Leben auf Sparflamme natürlich recht wenig zu erwarten. Da aber in der modernen Medizin wie generell in unserer Zeit Quantität weit vor Qualität rangiert, werden die Beschwerden der Patienten nicht gar zu ernst genommen, jedenfalls nicht annähernd so ernst wie die konträren des hohen Blutdrucks. 

Wenigstens in diesem Punkt wird die Erwartungshaltung der Betroffenen nicht erfüllt. Sie hätten zu gern, daß die anderen und besonders die Ärzte die Kastanien für sie aus dem Feuer holen. Die anderen sollen sich mal was einfallen lassen und zusehen, daß es vorwärtsgeht, sie selbst sind ja viel zu schwach. Hier werden sie von der Schulmedizin enttäuscht, und darin liegt deren einzig entscheidendes Verdienst bei diesem Krankheitsbild. Im Idealfall würde so die Täuschung beendet, daß es irgendeine äußere Lösung gibt. Schlechterenfalls werden die Patienten durchs Leben getröstet mit Hinweisen auf ihre adynamische Konstitution und anderen »stabilisierenden« Mitteilungen. Solche Stabilisierung stabilisiert nur die Instabilität und verlängert damit die Auszeit im Abseits des lebendigen Lebens. 

Härter, aber heilsamer ist die Zurückweisung aller Projektionen. »Hilf dir selbst, sonst hilft dir niemand« wäre die in diesem Fall besonders empfindlich treffende Devise. Von angestrengten Forschungsbemühungen der Wissenschaftler, der Hilfsbereitschaft des Arztes und den Versuchen des Partners, sich stellvertretend besonders aktiv zu stellen und die Karriereleiter hochzuklettern, kommt der hypotone Bindegewebsschwächling mit Sicherheit nicht hoch, nicht einmal bis auf die eigenen Beine. 
Statt auf andere zu projizieren und Hechtsprünge in den bewegten Gegenpol zu machen, wäre wieder die Aussöhnung mit der eigenen Misere zu empfehlen. In ihrer Symbolik liegt die Lernaufgabe und in deren Annehmen, die Chance, den ersten Schritt in die richtige, weil eigene Richtung zu finden. Jedes Symptom liefert ein Bild und neben der unerlösten Ebene, unter der man leidet, auch eine erlöste, die Befreiung vom abgebildeten Symptom verheißt. 

Der Mensch mit niedrigem Blutdruck ist quasi auf den Boden gezwungen, er ist niedergeschlagen und machtlos, wenn nicht gar ohnmächtig. Dieser Zustand ist demütigend, enthält aber andererseits die Chance, echte Demut zu lernen. Ein Annehmen der eigenen offensichtlichen Schwäche kann der erste Schritt dazu sein. 

Angesichts einer übermächtig erlebten (Um-)Welt fühlt sich der Betreffende unfähig und meist sehr klein. Die eigene Kleinheit vor dem Wunder der Schöpfung einzusehen und anzunehmen ist aber Voraussetzung von Demut. Das Wort enthüllt einen Schritt, der sich gerade Hypotonikern anbietet: De-Mut bedeutet »weg vom Mut», vor allem vom Hoch- Mut, aber auch vom Wage-Mut und den anderen Spielarten des Mutes. Mut birgt den Willen zu Kampf und Auflehnung in sich, für den Schüler der Demut aber geht es darum, sich zu fügen und bewußt und ohne Groll nachzugeben. Der Hypotoniker ist schon so nahe daran, er muß wirklich »nur« noch bewußt annehmen, was ihm sowieso dauernd geschieht, und bewußt zu dem stehen, was er bereits die meiste Zeit über tut. Er liegt der Welt zu Füßen, erniedrigt sich vor allen und allem. 

Einige Heilige wie Franziskus von Assisi und die heilige Klara haben solche Übungen zum Teil ihres Weges gemacht. Sie haben auf diesem Weg Erfüllung gefunden anstatt Überfüllung ihrer Blutwege. Den Rückzug in die eigene Mitte gilt es zu akzeptieren, das Schneckendasein bewußt zu leben: alles sehr langsam und im Schneckentempo erledigen, aber stetig wie das Totemtier. Die Eremitage im Inneren des eigenen Hauses nutzen und schließlich vielleicht sogar genießen. Die letztlich größeren Entwicklungschancen liegen innen in einem selbst und weniger in der äußeren Welt. Wenn es ständig schwarz wird vor den äußeren Augen, ließe sich darin die Aufforderung erkennen, mit den inneren schauen zu lernen, sich von Mutter Erde auffangen und tragen zu lassen. Die Ohnmachten wären Übungen, auf der symbolischen Körperbühne Macht und alle Ansprüche daran bewußt loszulassen und die Tiefe einer anderen Dimension zu erreichen. 

Das mögen sehr extreme Ratschläge in einer Zeit sein, die ganz auf die Macht des Machbaren setzt. Andererseits sind sie nicht radikaler als das Leben, das die Betroffenen von ihren Symptomen aufgezwungen bekommen. Freiwillig anzunehmen, was sich einem aufdrängt und sowieso nicht ändern läßt, setzt keinerlei religiöse Überzeugung voraus, sondern eigentlich nur gesunden Menschenverstand. Alle Symptome betonen dieselbe Richtung. 

Ein blasses Leben mag frustrierend sein, es war aber auch der Ausgangspunkt vieler Sucher auf dem Weg zu einem reicheren und farbigeren inneren Leben. Ständig schwere, des Laufens müde Füße zu haben zieht einen hinunter - stimmungsmäßig und konkret. Zugleich bringt es aber der Erde und Mutter Erde näher, dem weiblichen Pol und dem Ursprung allen Lebens damit. Bewußt erlebt, könnte sich aus dieser Erfahrung ein Gefühl von Erdverbundenheit und Verwurzelung entwickeln. Die Schwerkraft der Erde und die Schwere des weiblichen Wasserelementes, das sich in den eigenen Beinen staut, legen es nahe. Mutter Erde ruft gleichsam ihre Kinder zu sich zurück. Selbst noch die in Schleifen dahinmäandernden Venenflüsse zeichnen mit ihren Schlangenlinien urweibliche Muster und setzen sich damit in Gegensatz zur männlichen Geradlinigkeit. Der Schwindel zeichnet dieselben Kreisbewegungen, nur weniger materiell. Sich bewußt drehen zu lassen und in den Kreis des natürlichen Lebens einzufügen, könnte die darin verborgene Lernaufgabe sein. Solche weibliche Symbolkraft im Seelischen wirken zu lassen, würde die körperliche Ebene entlasten. 

Körperliche Empfindlichkeit und Beeindruckbarkeit ließen sich im Seelischen als Empfindsamkeit und Sensibilität verwirklichen. Nachgiebigkeit und Konturlosigkeit könnten zu Anpassungsfähigkeit, Elastizität und Flexibilität werden. Die Weigerung, körperliche Grenzen herauszufordern, könnte in die bewußte Aufgabe seelischer Grenzen münden und damit in grenzenlose Liebe. Der Misere könnte die »misericordia«, das Mitleid, entwachsen. Aus der Erkenntnis aber, daß alles Leben Leiden ist, folgt, daß alles Leben Mitleid verdient. Womit uns das Elend der Hypotonie zu einer der Grundwahrheiten des Buddha geführt hat. 

Der hohe Anspruch dieser Lernaufgaben zeigt schon, wieviel erreicht ist, wenn es gelingt, sich bewußt auf sie einzulassen. Wer sich ganz auf die Mitte seines Schneckenhauses konzentriert und Ordnung darin schafft, wird notgedrungen die eigene Mitte entdecken. Das archetypische Muster der Spirale garantiert dafür. Aus dieser Mitte aber wird sich alles andere wie von selbst ergeben, auch all die ersehnten Eigenschaften des Gegenpoles wie Handlungsfähigkeit und Standfestigkeit, Beweglichkeit und Großmut. Und jener Mut, der aus echter Demut gewachsen ist, unterscheidet sich wesentlich von jenem, mit dem auf der anderen Seite Hypertoniker versuchen, die Welt aus den Angeln zu heben. Wer ganz in die eigene Schwäche eindringt und sich ihr ergibt, wird auf ihrem Grund eine Stärke finden, die ihresgleiehen sucht. 

Ein östliches Bild macht das deutlich. Der Tai-Chi-Meister ist so nachgiebig in seinen Bewegungen, so fließend und geschmeidig, daß der kleine Vogel, der auf seiner Schulter Platz genommen hat, nicht mehr wegfliegen kann. Immer wenn er sich abstoßen will, gibt die Schulter des Meisters nach. Der Vogel ist gefangen und entmachtet von Nachgiebigkeit und Weichheit. Die Macht der Härte und des Kampfes hätte nicht vermocht, was der Macht der vollkommenen Anpassung ein Kinderspiel ist. 

Im Tai-Chi-Symbol nimmt diese zeitlose Weisheit Gestalt an. Im tiefsten weiblichen Yin findet sich dort der Gegenpol des männlichen Yang und umgekehrt. Wenn das Weibliche sich ganz nach innen wendet und immer weiblicher wird, muß es schließlich in seinem Kern der Stärke begegnen. Das wird nun keine protzende Kraftmeierei mehr sein, sondern echte Stärke, die letzte Macht. Dieses Wissen liegt wohl auch der christlichen Anweisung zugrunde: 
»Wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, halte ihm auch die linke hin.« Wer dem wirklich aus seinem inneren Gefühl heraus nachleben kann, ist natürlich weiter und mächtiger als jener Scheinmächtige, der sogleich mit physischer Kraft zurückschlägt.

Die Lernaufgabe der Hypotonie wird zugleich betont und 
erschwert durch die soziologische Verteilung des Symptoms und die gesellschaftliche Situation. Niedriger Blutdruck ist ein Symptom, das eine enorme Dominanz bei Frauen hat, ähnlich wie sich auf dem Gegenpol hoher Blutdruck bei Männern häuft. All die sich aus den Symptomen ergebenden vorrangigen Lernaufgaben klingen wie ein Hohn auf die Ziele der Frauenbewegung und ihre Emanzipationsbestrebungen. Deren Anhängerinnen wollen ja gerade heraus aus dem Schneckenhaus, aus der Abhängigkeit und frei und selbständig schalten und walten. Ihr Ideal ist ein männliches, und sie bemühen sich, männliche Machtpositionen zu erobern. Mit einem niedrigen Blutdruck bleibt das aber ein recht aussichtsloses Unterfangen; frau ist gefangen in ihrer Konstitution und müßte über den eigenen Schatten springen. Das aber bleibt im allgemeinen ein mutiger Wunschtraum. Der eigene Schatten läßt sich nicht überspringen, sondern höchstens erlösen, und das ist schon schwer genug. 

Damit sei kein Urteil über die Frauenbewegung abgegeben - oder vielleicht nur jenes, daß ihre Ziele sehr verständlich sind wie alle Sehnsucht nach dem Gegenpol, daß sie aber für all die Frauen mit schwachem Kreislauf den zweiten Schritt vor dem ersten fordert. Wenn das körperliche Erbteil in einer weichen weiblichen Ausstrahlung besteht mit blondem Haar und blauen Augen und Flecken, schwachem Bindegewebe und ebensolchem Blutdruck, dann ist es offensichtlich Aufgabe, diese Weiblichkeit zu leben und zu erlösen. Aus dem Zentrum der Weiblichkeit wird sich schließlich jene Kraft ergeben, die sich durch noch so viele Rhetorikseminare oder Bodybuildingstunden nur scheinbar gewinnen läßt. 

Natürlich hat jede Frau in sich auch einen männlichen Pol, von Jung Animus genannt, wie auch jeder Mann einen weiblichen Teil, die Anima, in sich trägt. Im allgemeinen ist es Aufgabe, zuerst den durch das eigene Geschlecht angegebenen Teil zu leben und zu erlösen, insbesondere wenn dieser Teil stark betont ist. Den sichersten Wegweiser aber geben die Symptome ab, zeigen sie doch, was von der Lebensaufgabe in den Schatten verdrängt wurde und nun auf Erlösung drängt.


aus => »Verdauungsprobleme«  :

Das griechische Wort »haimorrhoides« (= »Blutfluß«) nimmt Bezug darauf, daß Hämorrhoiden leicht bluten, besonders bei der Stuhlentleerung. Anatomisch handelt es sich um Erweiterungen der analen Venen, die oft als Knoten tastbar sind. Bei den äußeren Hämorrhoiden sind die perianalen (= »um den Anus herum«) Gefäße erweitert, bei den inneren das sogenannte Corpus cavernosum recti, ein venöses Geflecht am Ende des Rektums, das zur Feinabdichtung (des Anus) dient und z. B. das Heraustropfen von Flüssigkeit verhindert. Im Anfangsstadium sind die Venen wie Krampfadern (am Bein) lediglich erweitert, in chronischen Situationen kann es, wie bei anderen Krampfadern auch, zu Thrombosen kommen. Besonders diese wirklich harten Knoten führen nicht selten zu Schmerzen, vor allem bei der Stuhlentleerung. Ansonsten verursacht hauptsächlich ein unangenehmer Juckreiz Beschwerden. 

Vor der Konfrontation mit diesem unangenehmen, zu einer wahren Volksseuche angeschwollenen Problem lohnt es, den Schauplatz der Handlung genauer unter die Lupe zu nehmen. Es ist der Anus (»Ring«), jener höchst anrüchige Ring(muskel), der die Unterwelt nach draußen verschließt. Er bezeichnet gewissermaßen den negativen Höhepunkt unserer gesellschaftlichen Schmutzphobie, einen wirklichen Tiefpunkt sozusagen. Wenn wir einem Menschen anbieten, er solle uns am Arsch lecken, kann er in unseren Augen nicht mehr tiefer hinabsinken. Der Einschluß dieses heiklen Bereiches in sexuelle Praktiken deutet an, daß einem an dem betreffenden Menschen wirklich alles, sogar das zuhinterst Rangierende lieb ist. Die Benennung »du Arschloch« ist schließlich die gröbste denkbare Beleidigung und dafür von erstaunlicher Popularität. Der Arsch der Welt ist sozusagen der allerletzte Platz auf dieser (Körper-)Welt. 

Dieser schattige, von allen gemiedene und aus dem Bewußtsein verdrängte Ort ist ausgerechnet die Heimat der Hämorrhoiden. Über sie holt er sich viel von jener Aufmerksamkeit, die ihm bewußt verweigert wird. Das penetrante Jucken führt nicht wenige Hände zur Besänftigung in jene verbotene Region - ganz heimlich und verstohlen natürlich, wie es sich für solch einen verachteten Platz gehört. 

Die gestauten Gefäße der Hämorrhoiden sprechen dafür, daß es im Leben des Betroffenen ein Hindernis gibt, vor dem sich seine im Blut symbolisierte Vitalität staut. Tatsächlich sitzt dieser Mensch auf seinen Knoten, anstatt sie zu lösen. Auf Problemen zu sitzen ist selbstverständlich unangenehm, und so zeigt der Körper nicht nur die Situation in schonungsloser Offenheit, er sorgt auch gleich für einen Ausweg, indem er den Betroffenen auftreibt. Sitzenbleiben tut in dieser Lage einfach zu weh, er kann sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht durchsetzen. Vor Unbehagen richtet er sich auf und entlastet so seinen überstrapazierten Hinterausgang. Genau darum geht es letztlich, allerdings im Übertragenen: Sich aufzurichten, aufzustehen für die eigene Sache und sich gerade zu machen. 

Die typische Haltung des Hämorrhoidenpatienten entlarvt aber die diesbezüglichen Schwierigkeiten, neigt er doch vielmehr dazu, die Pobacken zusammenzukneifen und überhaupt zu kneifen. Es ist das die typische Haltung des Schwanzeinziehens. Aus der direkten Konfrontation verdrückt er sich lieber, und so gerät die »verdruckste« Energie ins Hintertreffen. Die Schüsse, die nach vorn nicht gewagt werden, gehen auch nach hinten noch nicht los, werden aber hier schon mal gestaut. Und bevor dem Betroffenen der Kragen platzt, platzen noch eher die Knoten, die seinen Hinterausgang blockieren. Typischerweise bringt das eine gewisse Entlastung, Druck und Juckreiz lassen vorübergehend nach. Dauerhaftere Erleichterung allerdings würde das Druckablassen im übertragenen Sinne und an der richtigen Stelle verschaffen. 

Die Versuche, den Druck hintenherum abzulassen, werden vom Körper als Umweg entlarvt. Sie sind nicht nur schmerzhaft, sondern bringen auf die Dauer auch keine Entlastung. Andererseits juckt dieser indirekte Weg hintenherum den Patienten (in seinem Hauptsymptom) unverkennbar. Der direkte Weg ist ihm zu gefährlich, und so versucht er den Druck immer wieder hinterrücks abzulassen. Er erleidet das Schicksal aller klassischen Drückeberger. Bei dem Versuch, sich vor dem Druck zu drücken, wird dieser immer erdrückender, und jeder scheinbare Ausweg erweist sich letztlich nur als Abweg(ig). 

Um aber nach vorn zu agieren, ist der »Druckauslöser« bzw. die Angst vor ihm zu mächtig. Betrachtet man die klassischen Situationen, in denen sich Hämorrhoiden bilden, so findet sich praktisch immer von einer Übermacht ausgehender Druck, der nicht nach außen abgeleitet werden kann. Typisch ist etwa die Hämorrhoidenentstehung beim Militär während der Grundausbildung. Die medizinische Erklärung für diese auffällige Häufung wird zumeist in kausalen Gründen gesucht, z. B. oft auf kaltem Boden sitzen zu müssen. Sicherlich ist das Hinterteil von jungen Soldaten weder warm noch weich gebettet. Andererseits ist eine entsprechende Symptomhäufung bei Pfadfindern in ähnlichen Situationen unbekannt. 

Viel eher als der kalte Boden dürften die kalten Füße der Soldaten im übertragenen Sinne von Bedeutung sein, die Angst nämlich vor den Vorgesetzten und der übermächtigen Maschinerie. Sie haben keinerlei Chance, den auf sie ausgeübten Druck zurückzugeben, und so geht der Schuß bzw. Druck nach hinten (In Extremsituationen können sogar konkrete Schüsse nach hinten gehen. Die sehr hohe Zahl gefallener Einsatzoffiziere im Vietnamkrieg soll vor allem auf solche Schüsse zurückzuführen sein. In eine ausweglose Situation gebracht, für ein Ziel in den Kampf gezwungen, an das sie nicht glauben konnten, den eigenen Tod vor Augen, drehte eine Minderheit der Soldaten einfach um; wenn es nicht anders ging, auch ihr Gewehr. Die Mehrheit folgte ihren Offizieren bzw. ging ihnen in Vietnam folgsam voraus. Sie ließen ihren Druck nach vorne ab, wo er sich in vielen Massakern entlud, oder sie nahmen ihn nach innen. Eine der dann noch harmloseren Folgen dürften Hämorrhoiden gewesen sein.). Der typische preußische Soldat, bis zur Selbstaufgabe gedrillt und mit Kadavergehorsam begabt, knallt die Hacken und kneift die Pobacken zusammen, damit ihm ja kein echtes Gefühl aus seiner Beckenschale entweicht. Er ist der Prototyp des Hämorrhoidenträgers. 
In einer ganz anderen Kultur unter ganz anderen Umständen gibt es ebenfalls eine auffällige Häufung von Hämorrhoiden: bei jungen Mönchen während ihrer ersten Zeit im Zenkloster. Die wesentliche Parallele liegt hier in der druckvollen, absolute Disziplin erfordernden Autorität, der beide Gruppen ausgesetzt sind. Im ersten Fall können sich die Soldaten nicht wehren, im zweiten wollen es die Mönche nicht, schließlich sind sie freiwillig gekommen, um sich der Autorität zu unterwerfen. Sie sollen nicht lernen, sich durchzusetzen, sondern ihre Probleme im Zazen, der klassischen Sitzmeditation, durchzusitzen. Manch unbewußter Geistesknoten wird da mobilisiert, und wenn er nicht konfrontiert wird, hinterrücks spürbar. Auch wenn solche Knoten noch so drücken, können sie mit dieser Meditationstechnik mit der Zeit auch wieder gelöst werden. Auch die jungen Soldaten finden nach überstandener Grundausbildung zumeist andere Ventile, um sich Luft zu verschaffen. Diese sind zumeist genausowenig elegant wie die Orte der Entlastung, aber insofern wirksam, als sie die Knoten am Hintern wieder (über)flüssig machen. 

Die Grundsituation ist eine der Unterdrückung durch eine übermächtige Autorität, die nicht akzeptiert, sondern vielleicht sogar gehaßt wird. Hämorrhoiden stellen gleichsam einen (unbewußten) »Autoritätskonflikt unter der Gürtellinie« dar. Die Autorität erscheint den Betroffenen dabei so überlegen, daß eine direkte Konfrontation für sie nicht in Frage kommt, sondern nur der indirekte Weg durch die Hintertür. Aber selbst dieses Aufbegehren kann sich der Patient in seiner Situation des Ausgeliefertseins nicht eingestehen und drängt es ins Unbewußte ab. Das Gefühl von ohnmächtiger Angst muß so stark sein, daß er sich auch nicht erlauben kann, seinem Druck in lautstarkem Stänkern Luft zu verschaffen. Er versucht im Gegenteil noch in dieser Situation die verräterischen Abgase zurückzuhalten und seinen Hinterausgang hermetisch zu verriegeln, indem er die normalen Verschlußmechanismen durch zusätzliche Barrikaden verstärkt. 

Von seinem Druck loszulassen fällt dem Patienten andererseits auch deshalb »blutig« schwer, weil in diesem Bereich die zweite Wurzel seines Problems liegt. Die Angst und damit Enge steht ihm im Weg, wie er bei jedem diesbezüglichen Versuch auf der Toilette schmerzhaft erleben muß. Häufig ist er verstopft, und viele Mediziner halten das sogar für die »Ursache« der Hämorrhoiden. Tatsächlich ist es nur ein Glied in der Kette, die da heißt »Nicht-loslassen-Können«. Wie ein Stöpsel versperren die Knoten den Ausgang. Bei den inneren Hämorrhoiden ist es der natürliche Absperrmechanismus, der hier seine Aufgabe erheblich übertreibt. Aber auch äußere Knoten versperren noch sehr drastisch und effektiv den Hinterausgang der Körperwelt.
Trotz aller vor den Ausgang gebauter Barrieren muß der Betroffene zumindest körperlich hin und wieder etwas los- und damit passieren lassen. Wie hart ihn das ankommt, zeigen die damit verbundenen Schmerzen. Wie sehr er an dem hängt, was er geben soll, verrät sein Stuhl. Wenn der es schließlich geschafft hat, sich unter Mühsal an den Knoten vorbeizudrücken, klebt nicht selten Blut daran. Zwar blutet dem Patienten nicht wirklich das Herz, sondern der Allerwerteste, aber letztlich kommt doch alles Blut vom Herzen. Außerdem kann es in diesem Fall gut sein, daß der Allerwerteste - nomen est omen - mit seinem Bezug zur Materie als wertvoller empfunden wird als das Herz. Schließlich handelt es sich bei den Verstopften in der Regel um Menschen, denen der im Kot symbolisierte materielle Reichtum besonders am Herzen liegt. Wie man von Blutgeld spricht, böte sich hier der Ausdruck »Blutstuhl« an. Blutgeld bekommt man für einen Verrat an den Lebensrechten von jemand anderem, »Blutstuhl« durch einen Verrat an den eigenen Lebensrechten. Jemanden bluten lassen meint ihn materiell ausnehmen, sich selbst bluten lassen bedeutet folglich, die eigene materielle Basis des Lebens davonfließen zu lassen. 

Noch deutlicher wird die Thematik im chronischen Stadium, wenn das Blut in den Knoten gerinnt. Der Lebensfluß, die Vitalität, sitzt dann nicht nur fest, man sitzt auch noch selbst darauf. 

Hinzu kommen die Probleme, die sich hinter Bindegewebsschwäche, Krampfader- und Thromboseneigung verbergen, die eine wesentliche körperliche Voraussetzung für Hämorrhoiden bilden. Etwa die beunruhigende Tatsache, daß man seine ganze Vitalität zwar bereitwillig von Herzen ausschickt, daß sie aber nicht in angemessener Weise zurückfließt, sondern tatsächlich am Arsch der (Körper-) Welt landet. 

Die eigene Verstocktheit kann in dieser Lebenssituation schmerzlich bewußt werden. Man bemüht sich zwar, aber es kommt im wahrsten Sinne nichts dabei heraus, sosehr man sich den »Arsch auch aufreißt«. Diese verkrampfte Bemühung, letztlich am verkehrten Ort, zeigt auch der Ausdruck »Krampfadern am Hintern«. Bei jedem Toilettenbesuch kann der blutige Konflikt ums Hergeben akut aufbrechen. 
Ein ganz normaler Autoritätskonflikt, bei dem man gehörig unter Druck gerät und in seinem Lebensfluß eingeengt wird, wird sich am ehesten in der Einengung der Gefäße und entsprechendem Hochdruck zeigen. Druck dagegen, dem man nicht ausweichen und den man geradeheraus nicht wieder ablassen kann, der indirekt ausgeübt oder von einer unangreifbaren, übermächtigen Instanz ausgeht, wird die Tendenz entwickeln, sich nach hinten zu befreien. Man stinkt dann gegen die Autorität an oder stänkert an anderer Stelle herum. Traut man sich auch nicht, diesen anrüchigen Ausweg zu benutzen, ist man reif für Hämorrhoiden. Der letzte Ausweg ist einem dann verbaut, auch die unterste Ebene ist versperrt und verklemmt. Die bayerische Mundart würde hier von einer wahrhaft hinterfotzigen Lösung sprechen. 

Die erlöste Ebene dieses Symptoms zeigt die sich blutig entleerende Hämorrhoide. Es geht einem der Knopf auf, bzw. der Knoten platzt einem. Auch der Chirurg therapiert in dieser Hinsicht stimmig und auf den Spuren von Alexander dem Großen, der den Gordischen Knoten mit einem Hieb durchtrennte. Der Stich mit dem Skalpell bringt Entleerung der gestockten Lebensenergie und so wieder Fluß ins System. Konservative Therapiemethoden sorgen ebenfalls für Durchfluß, indem sie das Hergeben erleichtern und für künstlichen Durchfall bzw. sehr weichen Stuhl sorgen. Alle Methoden, die mit Bädern den beleidigten Anus versöhnen wollen, lenken genauso wertvolle Aufmerksamkeit an diesen verachteten Ort wie einerseits dessen Jucken und andererseits das Kratzen des gestörten Besitzers. Letztlich geht es darum, aufzustehen, sich zu stellen und, statt sitzen zu bleiben, Druck abzulassen. Oder aber wirklich bewußt sitzen zu bleiben wie der Zenmönch, um mit wachem Geist die Konfrontation mit dem Problem auszuhalten. Würde solch ein Mönch aufstehen und die gestaute Energie in Bewegung und Kampf ausdrücken, würde er einen typisch östlichen Kampfstil wie etwa Aikido wählen. Die Kampfenergie »hintenherum« ist charakteristisch für die östlichen Kampfkünste, die niemals direkt und frontal angreifen, sondern immer die Energie des Gegners für ihren Kampf nutzen. Es ist das auch bei uns nicht unbekannte Prinzip, jemand mit dessen eigenen Waffen zu schlagen. Zu einem ähnlichen Umgang mit Energie zwingen Hämorrhoiden ihre Besitzer. Auch für den Autoritätskampf unter der Gürtellinie gibt es dabei, wie die Kampfkunst des Ostens verrät, faire Regeln. 
  

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